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Sa., 31. Mai 3000

*fett* = MS

-> Pollock's Allover und die darin offen versteckte Figuration (-> Max Imdahl, Serge Guilbaut)

Schmierspuren von mit dem Finger bei Bewegungen auf dem Touchpad des "Kaoss Pad Effect Controller" der Firma Korg aufgetragenem Handschweisz
Schmierspuren von mit dem Finger bei Bewegungen auf dem Touchpad des "Kaoss Pad Effect Controller" der Firma Korg aufgetragenem Handschweisz (Foto M.S.)

WAS KANN DAS KAOSS PAD? Was kann der Finger auf dem Kaoss Pad? Gleiten auf einem 2D-Raum mit diskret adressierbaren Y/X-Koordinaten um Klaenge allmachtsfantasitisch zu "verbiegen" (Aumiller) #Kriegstechnik#. Die Linienfuehrung ist jedoch 'nicht' beliebig, sondern folgt nach Belieben dem Hoeren, ist also ihrerseits kultursozialisch und -technisch konditioniert. Man koennte den in das Geraet eingeschliffenen Audiosignalen die Effektalgorithmen auch taub, d.h. nur grafisch orientiert zuweisen - was man blindes Auswahlen nennen koennte; und das entspricht der Strategie der Abstraktion: die Handlung von der bisherigen technischen Darstellung des Gegenstands entfernen und das Ergebnis (den Output) als metasymbolische Geste oder Ueberikonie-Objekt (Superzeichen) zur Verfuegung stellen (als Ikonie bezeichne ich hier Bildgebungen). Diese Maschinisierung ist der *Effekt des Effekts der Effektmaschine*. Ein Pitchen (Tonerhoehung) des originaeren Input-Audiosignals bewirkt die Veraenderung dieses Signals zu einem anderen Output-Audiosignal. Zu hoeren ist aber nicht der mit einem Effekt belegte Input, sondern nur der Output, als Anderes nur imVergleich mit dem Original erkennbar. Schlieszt man das Original aus (taubes Pitchen) und laesst nur den Output gelten, wird also vom Original und seiner Bedeutungsbindung abstrahiert, wird der Fokus verschoben: weg von der Bedeutung, auf die Funktion der Maschine, oder zumindest das Interface der Maschine. Auch wenn blindes Sampling wie eine Gegenstrategie zum Inhaltlichen oder gar beim Cut-up zur Sprache-Macht gehandelt wird - dass der Output hermeneutischen oder technischen Bedeutungszuweisungen nicht entgeht, bleibt:

"Oval entwickelten eine Software, die es ermöglicht, den Laser im CD-ROM Laufwerk zu steuern. Aus den auf der Audio-CD vorhandenen Klängen (als Material) werden kurze Sekundenbereiche über ein monochromes Interface blind herausgelöst, sie werden mit Hilfe von Monitoring, jedoch ohne Repräsentation der jeweiligen Stelle auf der CD 'ausgewählt', d.h. gesamplet (digitalisiert abgespeichert), diese Fragmente werden zu Patterns geordnet und offenbar über eine Art Sequenzerprogramm aneinander montiert; es entsteht ein Skipping-Sound, der subharmonisch/subästhetisch der "Verpixelung" von Fotos vergleichbar ist. Die einzelnen Pixel, die Fragmente einer vorhandenen Klangfolge können per Computer frei linearisiert werden. Bei diesem Vorgang bleibt als "subjektive Komponente (in Anführungszeichen)" (Popp ebd.) die Strukturierungsfrage dieser Fragmente. Allerdings bleibt auch das Produkt dieser unvorherdenkbaren Musik, die nicht mehr komponiert werden kann, nur noch koordiniert werden kann, der zusammengesetzte neue Klang nämlich, dessen Quelle nicht mehr expliziert wird, der nur noch sich selbst explizieren soll, im klassisch modernen Sinn abstrakt. Aber seine an ihn *angeschlossene*n Assoziationsfelder* werden in den leicht nachvollziehbaren Klang der berühmten "hängenden CD" und das 'Fließen' von leichten Arpeggiaturen rücküberführt." (Schmidt 1998) Wissen und Erfahrung ohne Exemplifikation sind unmöglich - wir hoeren Heideggers Adlerwagen, oder einen Pitch, erzeugt durch eine Maschine, oder den Soundtrack fuer eine Armani-Werbung. Das bedeutet, dass der Produktionsprozess des Output nie ganz abgeschlossen ist und nie maschinistisch bleibt. Der Wechsel von Originalsound zum Effektsound waere aber nur dann eine Bedeutungtragende Bedeutungsverschiebung, wenn beide vorlaegen. Der Fokus auf die Maschinisierung seitens der Effektmaschine wird auch nur dann effektiv, wenn seine technische, soziale und historische Funktionsweise innerhalb eines Wissensvermittlungsrahmens kausal oder anders nach Kriterien geordnet und falsifizierbar vorgelegt werden. ...

"Abb. A"
"Abb. A"

Max Imdahl beschreibt Jackson Pollocks "Number One", Jaroslav Serpan zitierend, als "offene Form" [obgleich sie ja gewissermaszen geschlossen ist, weil fixiert], "die den ganzen Spielraum ihrer unvollkommen unbegrenzten, unvorhersehbaren und ueberquellenden *Strukturentwicklung* einbezieht." (Imdahl 1996). An diesem Zitat kann sehr einfach gezeigt werden, dass Kunst und kuenstlerische Praxis (mind. eine 2teilung!), im Gegensatz zur These "offene[r] Laboratorien" Zielinski's und dem »Differenz-Refugium« (> verteidigt das Portal der Fantasie), von dem Recycling der Diskurse der Kunst, Technik, Sozial usw. -geschichte und ihrer Kritik bestimmbar und ableitbar sind, in dem eine Wechselseitigkeit vorherrscht, die selbst ein Geflecht ist. Nicht Pollock schreibt ja die "Strukturentwicklung" als analytischen Begriff an, Interpretation und Wissensmanagement tun es, die von den Linienziehungen der Navigation durch die Kombinatorik wissenschaftlichen Samplens abhaengen. "Es handelt sich", um eine Phrase der objektivistischen Wissenschaft zu verwenden, nicht um ein "Allover" wie ein Overall, dann waere die Leinwand voellig gefuellt und boete eine voellige Geschlossenheit des Farbauftrags (imaginiere Gerhard Richter's graue Bilder ohne erkennbare Struktur ohne Nuancen als absolut reine Flaeche oder Form aehnlich Arthur C. Clark's/Stanley Kubrick's Monolith in _2001: Odyssee im Weltraum_). Serge Guilbaut 'zeichnet' Pollock's Bild als "'All-over' Liniennetz", in dem ein Prozess der Ausloeschung von Figuration als *offen versteckte Figuration*
fixiert wurde (Guilbaut 1983), nachdem er auf vorherigen ueber 200 Buchseiten geklaert hat, wie das Netzwerk aus Kunstpolitik, Kunstmarkt und -kritik und Kunstproduzenten den Abstrakten Expressionismus in der US-Amerikanischen Nachkriegszeit (nach dem WK II) paradigmatisch durchsetzte. Netzwerk und Liniennetz sind ein metonymisches Allover der Differenzierungs-Textur im Raum, sei er 2- oder 3dimensional. Die totale Flaeche boete keine Kontingenz der darin ablegbaren Codes oder Symbolverweise, sie haette nur noch in der Unter-Scheidung am Rand der Flaeche oder Masse zu einem aus der Flaeche/Masse WIE? beobachtbaren Auszen (vgl. Kasimir Malewitsch's "Schwarzes Quadrat" und den Gestaltwechsel bzw. die Figur-Grund-Differenz von schwarzem Quadrat und weiszem Untergrund, oder ist es ein weiszer Rahmen um eine schwarze Flaeche?) eine induktive Moeglichkeit zur Unterscheidbarkeit und damit zur informatorischen Kodierfaehigkeit ... --- > Induction

Nocheinmal: Man koennte sagen, dasz, waehrend der Betrachter im Bild Rhythmus und Struktur und koerperliches Malen sieht und damit das Bild zur Metafigur fuer Pollock's Rhythmus und Struktur und koerperliches Malen wird, Pollock eine abstrahierende Taktik der Betonung der Ausloeschung von Figuren im Liniengeflecht betreibt. Aber vielleicht war Pollock's Strategie keine negative sondern eine positive, eine paradoxe: er wollte die Figur und er wollte sie nicht.

Auch das Interface des Kaoss Pad ist nicht Allover-Overall, sein Koordinatensystem auf dem Touchpad ist nur scheinbar lueckenlos.

Werte auf der X/Y-Achse sehen so aus: 1.2, 1.3, 2.2, 2.3, usw.

Die umspringenden Werte von z.B. 1.1 zu 2.1 markieren an ihrer Grenze eine Distinktion, deren Aufloesung im Raster der X/Y-Koordinaten immer einen Unterschied bereithaelt. Im Effekt der Effektmaschine liegt ein Gestaltwechsel.

Was passiert wenn ein Liniennetz ueber das Raster gelegt wird? So wie Antoine de la Mothe Cadillac 1701 im Auftrag des Despoten Louis XIV. das spaetere Detroit militaerisch gruendete (Sueddeutsche Zeitung) und damit eine territorische Linie von Frankreich ueber das spaetere Kanada in eine Stadt zog, die ehemals synonym mit dem industriellen Fortschritt der heutigen USA war - und aus der der Legende nach (und sehr musikwissenschaftlich) der Musikstil Techno kam, aus einer historisch koinzidierenden Situation, in der HighTech-Musikmaschinen Second Hand billig zu bekommen waren, in der Stadt, deren Automobilindustrie kurz zuvor, in den 1970ern Massenentlassungen vornahm.

als Terrain

Pollock's offene versteckteFiguration kann jetzt die paradoxe Figurenbildung/Figurendestruktion sein, die sich perzeptiv/rezeptiv aus den Umrissen, Binnenstrukturen und Uebereinanderlinierungen bilden laesst, die eine Navigation ueber die Flaeche eines gedachten Kontinuums wie z.B. dem Meer erzeugt. Die chaotischen autopoietieschen Linien im Rhizom, Krickelkrackel und jegliche "Andere Raeume" (Foucault) lassen sich so mit einer Bedeutungszuweisung in fixe oder dynamische Figuren und Rahmungen bringen, oder: Die chaotischen autopoietischen Linien in Deleuze' Rhizom und jegliche "Andere Raeume" (Foucault) muessen mit einer Bedeutungszuweisung in fixe oder dynamische Figuren und Rahmungen manifestiert werden, um in ihren Strukturen erkennbar zu werden:

Making of multitude-Rhetorik

# # = markiert

"When net activism and the global protest movement, all sorts of
counter activities and parallel events connect and #link up into a
strong and powerful conceptual framework#, one can indeed envision a
series of actions and activities, that reveal the a new potential of
struggling: Refusing and resisting both, war and info war, border
management and digital rights management, restrictions of the freedom
of movement and constraints of the freedom of communication. Let's
leave the false dichotomies between "real" and "virtual" behind us and
both shape and subvert the technologies that are now part of
everyone's life. [...] The activities around the WSIS [*] in December 2003 might look like the
freestyle dance of a #movement of movements#. While the representatives
of governments and non-governmental organizations do only talk about
#networking, we are going there to actually practice it#. When the
leaders of the nation-states negotiate about the digital divide, we
are struggling for free and unfettered access. As they shiver with
piracy, we are sharing our skills and capacities, resources and
experiences. Though the corporations desparetely try to control the
flows of material and immaterial goods, #we reclaim the world as the
invention and creation of the multitudes#." [...] Written and developed by: Dee Dee Halleck, Michael Hardt, Jamie King,
Hagen Kopp, Susanne Lang, Geert Lovink, Florian Schneider, Pit
Schultz, Alan Toner and many other activists from Indymedia Centers
in Geneva and Switzerland, as well as France, Italy and Germany" (E-Mail, Date: Tue, 18 Mar 2003 13:56:24 +0100, Subject: <nettime> geneva03: g8 and wsis, From: Florian Schneider <fls kein.org>, To: nettime-l bbs.thing.net)
_____
* World Summit on the Information Society


Nocheinmal:

Der analoge Mehrwert in Figuren des "Alloverall"


Laut der Kritik der politischen Oekonomie von Marx wird der abzuschoepfende
Mehrwert nicht etwa durch geschicktes Handeln auf dem Markt-Parkett z.B.
einer New Old-Economy gebildet, sondern an der Stelle unbezahlter
Mehrarbeit. Symbolarbeiter, Programmierer und Content-Manager an den
digitalen Netzen werden immer auszerhalb der Marge entlohnt, d.h. jenseits
des Abstands von Kosten und Verkaufspreis.

Mit dem populaeren Modell der "immateriellen Arbeit", die dem Paradigma
des sog. Vituellen und dem Phantasma des fluiden Produkts unterliegt,
wird - in Verknuepfung mit der Vorstellung einer von
Kapitalismusprinzipien befreiten "affektiven Arbeit" seitens
vielgestaltiger Figuren - diese Stelle weggeblendet und ein Spielraum auf
den kulturtechnischen Raum der allgemeinen Netzwerke projiziert. Diese
Netze koennen, a-analog und erweiternd zu Jackson Pollock's
Liniengeflechten in seinen dripping-Bildern, dem bekannten "all over",
grafisch als "Alloverall" situiert werden.

Denn, der Idee des asignifikanten Bruchs [vgl. Deleuze] im rhizomatischen
Liniengeflecht (all over) zum Trotz, werden im Flusz des Kapitals
Gestalten und Figuren des Mehrwerts lesbar, die deckend (over all) wirken
und ein Auszerhalb signifikanter Netze nicht erlauben, blosz ein Daneben
oder Dabei. Oder konsequenter: das Auszerhalb, gedeutet als Spielraum im
Netz, ist erst Garant fuer die Konstituierung des Netzes 'selbst'. Zwischen den
Zwischenraeumen der Farbe 'all ueber' auf dem Bildtraeger und den
Zusammenhaengen der deckenden Farbe 'ueber all' koennen und muessen in der
Rezeption signifikante Komplexe eroeffnet werden.

Waehrend Pollock eine abstrahierende Taktik der Betonung der Ausloeschung
von Figuren im Liniengeflecht betreibt, kann diese Ent-Linearisierung,
transponiert auf die Produktionswuensche in Spielraeumen alternativer
Selbstorganisation im Kapitalsystem, zur Gestalterkennung
meta-struktureller Figuren werden.

Die "Als-ob"-Uneigentlichkeit des Computers, die als Vielgestaltigkeit
erkennbar ist (und wie sie in der Vielgestaltigkeit von Hardt/Negri's
oekonomischer "multitude" metaphorisch wiederkehrt) und Jackson Pollock's offen
versteckte Figuren sind demnach vielleicht etwa so nah zu situieren wie
_ein Browser fuer die Zwischenraeume von Datennetzwerken_ und
_Schmierspuren von mit dem Finger aufgetragenem Handschweisz bei
Bewegungen auf dem Touchpad des "Kaoss Pad Effect Controller" der Firma
Korg _. D.h.: auf den x/y-Achsen-Koordinaten sind alle Positionen der
Schmierspur adressierbar! Die Aufloesung des Koordinatensystems kennt
keine Zwischenraeume, die Linearisierung der Produktionsweise jedoch meint
sie zu kennen. Doch sind sie immer nur im jeweiligen Produktionswunsch
lesbar, die Struktur bleibt wortwoertlich unangetastet.
_____
Quellen

Frederic Aumiller. "Beam me up, Scotty!" KORG - KP2 Kaoss Pad Testbericht. http://www.amazona.de, 05.04.2002.
Serge Guilbaut. _Wie New York die Idee der Modernen Kunst gestohlen hat: Abstrakter Expressionismus, Freiheit und Kalter Krieg_. Dresden · Basel: Verlag der Kunst, 1983. S. 230.
Max Imdahl. _Reflexion Theorie Methode. Gesammelte Schriften Band 3_. Frankfurt am Main: suhrkamp, 1996. S. 268 .
Matze Schmidt. "TECHNOKUNST 2.0". Magisterarbeit. Universitaet Gesamthochschule Kassel, 1998.
Clauspeter Becker. "Die Macht und die Herrlichkeit". Sueddeutsche Zeitung, 16./17. November 2002. S. V 1/3 .

"Abb. A" [leicht nachbearbeiteter Scan]. in: Ulrich Michels. _dtv-Atlas zur Musik Band 2_. Muenchen: deutscher taschenbuch Verlag, 1994. S. 550 .


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Last modified: Di., 20.01.2009 18:25