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Mi., 18. Juni 3000

Airwaves ist ein Kaugummi! Remix 18.5.2003

RadioHandyRadio


"RADIO"MOBIL

0170/5370633

In einem Environment aus frischer, gruen-weisz-beige-rot-blauer Corporate
Identity. Auf dem Ruecken einer Jacke steht "FUTURE". Der Verkaeufer hat
seine 4monate alte Tochter auf dem Arm, er dreht seinen braungebrannten
Kopf zum Kunden. Hinter ihm das Plakat individuellen Tunings grenzenloser
Vernetzung. Auf der runden Theke liegt eine SIM-Karte. Auf ihr ist der
Cartoon mit dem Mann mit der Gurke in der Hand abgebildet, der sagt
"Bitte, Lieber Gott, lass sie klingeln!".

Ein paar thetische (All)Gemein*plaetze*: Raumwesen erobern Raum nicht, sie
stellen ihn zunaechst her, um ihn dann in Besitz zu nehmen, um sich oder
irgendetwas auf ihn zu projizieren. Oder genauer, sie benutzen ihn als
Medium. Sie benennen ihn, erfinden damit Stellen & Orte und benehmen
sich in diesem Raum damit identifikatorisch. Das heiszt, Raum ist nicht
a priori einfach da, er wird permanent codiert, und wirkt permanent
codierend. Das kann z.B. gut aus Christoph Columbus' Logbuch
herausgelesen werden: Ich nenne diese Bucht soundso, ich nenne diese
Insel soundso. Der sog. OEffentliche Raum existiert nicht an sich, er
ist Produkt, ein historisches, dialektisches, komplex und "irgendwie
kybernetisch". Graffitty-Writer; Piratensender und -empfaenger;
Modesampler; Kids, die mit Laserpointern herumspielen; sie eroeffnen,
indem sie auf Leute zielen, zuerst die raumzeitlichen Relationalgefuege,
die aus #Zwischenraeume#n [Raum = distinkter Raum] bestehen.
[Diese Zwischen-Raeume = Prozesse+Verknuepfungen werden - durch
Prozesse+Verknuepfungen - machtraeumlich verfestigt = besetzt.] Alles
was mit Begegnung, Treffen, Kommunikation zu tun haben koennte wird
entsprechend fraktal [lesbar]. Es zerfaellt demnach kein Ganzes, sondern es
gibt immer schon nur Teile. Computern, als Medium des Als-ob, kommt ein
aehnlicher Status zu, ihre Medialitaet ist der technische Entzug ihres Status,
der nur durch Bezugnahmen zum Simulierten entstehen kann [symbolische
Maschine, Immaterialitaet]. Handys, Mobilfunktelefone, drehen diese offene
Diskursstelle um. Sie verdichten medialen Raum, weil sie ihn auf bestimmte
Funktionsweisen komprimieren und gleichzeitig durch die Erhoehung von
Effizienz erweitern, ihn intensivieren [neue Kartografien auf alten Verteilungen?].
Davor hatte der Staat 1999/2000 in Wien, als Demonstranten von der Polizei
die Handys zertreten wurden, und 2001 in Goeteborg, als Polizei SMS-
Netz als Konspriration verfolgte, Angst, und damit wollen die Unternehmen
ihren Marktanteil jetzt vergroeszern [haengen Independent-Media-Konzepte
irgendwie dazwischen?]. Wenn Gadgets wie Mobiltelefone metaphorisch an
Phantasmen wie den AEther, die Noosphaere oder den Frequenzsee
angeschlossen werden, dann werden sie ideologisch und soetwas wie de-codierbar.
[Ich meine und will also kein utopistisches Modell von Radio entwickeln!]
De-Codierbar als das technisch-mediale Apriori, das sie als Divergenzmedium
(?) im Zeitalter postulierter Konvergenzen sind. [Ich schlage vor, Radio
definitorisch anders zu besetzen. Und zwar nicht als Broadcasting-Prinzip,
sondern in der Verschaltung mit Handy als dem Multiplex-Prinzip, als:
Crossmedium mit hybriden Zugaengen.]

~ Kampf um Raum in Frage stellen!, denke ich. [Denn welcher ist der Raum um
den man kaempft?] Eine Epistemologie der Medien ist ohne Oekonomie der
elektronischen Raeume nicht denkbar (-> Sassen und so) - mediale Oekonomie,
oder medialistische Oekonomie, oder Oekonomie der Medien. Gibt es das schon
als Disziplin? Oder, wie macht man ein kuenstlerisches Konzept + Businessmodell
aus diesem Handy-Logo-Pseudohype?

Klar scheint, dass Raum und Machtraum medial bedingt sind und die
"Service"-Dienstleistung eine der Folgen ist. [Die Subsistenz kann nur (egal ob
informell oder offiziell) marktgaengig handeln] Raum und Machtraum scheinen
aber nicht verkuerzt werden zu koennen auf die technische Globalisierungsthese
[die ursaechlich vorgeschaltet waeren, ... hoechstens bedingend], es gibt da ja
noch dieses altmodische Profitstreben und das Lifestyle-Angebot. Mit Tauschringen
soll das kontrastiert werden.

SMS und UMTS-Stream, hochgradig ephemer, verboral? Die textuellen Formate
werden vielleicht nun dezentral behandelbar. An einer Straba-Haltestelle:
"Ich finde manche SMS so schoen, ich Speicher die immer ab und jetzt ist
mein Speicher voll." Cool ist, dass der museale Ethos der akkumulativen
Hochkultur damit erfuellt wird und zugleich vom Zentrum
"gesamtgesellschaftliche Kultur" abgezogen wird. Das Ganze wird
multitude, vielfaeltig, unuebersichtlich #[!]#. Das hat mit Gattungen nichts zu
tun. Genres ist fuer Studenten. ["Jazz ist fuer Studenten."]

Die mittlerweile konventionelle musikalische Strategie des Sampling bietet
neben verschiedenen Taktiken und konzeptionellen Tools der Subversion
auch Anschluesse an inneraesthetische Kategorien wie z.B. den Groove.
Bekannt ist hierfuer die sogenannte Ghostnote, Noten die in der
Partitur nicht auftauchen, Sound, der nicht offiziell ist, aber
dennoch gespielt wird, um den Groove in seiner Erweiterung des Taktes
erst zu sichern. Ein systemkonformes Verfahren, das zur Erhaltung der
Struktur dient, weil es nicht mit der hergebrachten Aesthetik des Groove
bricht, ihn nicht kalt bzw. maschinell, d.h. fehlerhaft macht, weil das
hoergewohnte Rascheln zwischen den Takt-Schlaegen der Snaredrum vorkommt.
Fehlt die Geisternote, also das was dem sturen Beat seiner Erweiterung
wegen hinzugefuegt wurde, aber laut Text nicht da sein duerfte, ist der
Soundtext nicht vollstaendig. (Tekkno-Beat (mit 2 "k" !) war deshalb immer
unvollstaendig.) [Wollen wir die Geistermedien machen?]

Ich denke 1. an ein Geistermedium, das den Sound der kanonisierten
Sender vervollstaendigt, mit ihnen im Konzert also das vorspielt, was
diese im Text nicht vorsehen koennen. Das waere ein reformerisches
Korrektiv, soetwas wie ein Offener Kanal, soetwas wie Reverse
Engeneering? Man erinnere sich daran, dass auch die Geste des
gegen-die-Gebrauchsanleitung-benutzen immer nur im Programm des Mediums
arbeiten kann, selbst wenn das Programm wie im Fall des Gameboy
veraendert wurde, das ist eine unueberschreitbare systemische Grenze!
Und im Sinn einer Kritik am Modell Sender-Kanal-Empfaenger kann gefragt
werden: Bleibt die Audience [dabei nicht] erhalten? In einer groszen deutschen
Musikzeitschrift [Spex] findet man im Januar 2002 die Abbildung eines jungen
Mannes und einer jungen Frau, die gemeinsam (?) Walkman hoeren
(genaugenommen sind sie mit ihren Kopfhoerern an einen CD-Player
angeschlossen); sie demonstrieren damit ein Exklusionsprinzip,
Disktinktion. Es sieht so aus wie Sex ohne Sex. Oeffentlich! [privat-oeffentlich,
diese beiden Kategorien zeigen also getrennt voneinander nicht mehr so viel,
oder muss man von "medial privat" und "sozial privat" reden?]
Und 2. denke ich an ein Translationsmedium, an ein Crossmedium, das
aehnlich wie das Crossposting in verschiedenen Mailinglisten das
Schema des Sendens aufnimmt [, verdreht] und unterlaeuft. So koennen
Metasoundtexte gebildet werden. 3. denke ich an ein schoenes Medium, das
direkt wirksam ist und privat UND oeffentlich ist: das ist ein Apparat, eine
Maschine (oder Maschienerie), die wir schon haben: Handys (moeglichst ohne
die grammatikalische Korrektheit des Plural "Handies"). Den Fetisch mal
geschenkt (damit meine ich beides, *umsonst* und mal nicht im Fokus
der Kritik!) geht das utopische Programm dann so: 'Wenn uns jetzt die
Frequenzen bald gehoeren' - faktisch wurden sie ja privatisiert und
so dem Praefix Demo (demos, das Volk) dem Konstrukt Demo-Kratie
entzogen, was dem Aufbau der Logik der Genpatentierung gleichkommt,
weil etwas, das physikalisch erst hergestellt werden muss und nicht
naturvorkommende Ressource ist, verkauft wurde - '"wenn also
dann" benoetigt niemand Lizenzen oder Erlaubnisse, weil die Knappheit
aufgehoben ist und statt Ordnung der Bandbreiten ihre Unordnung, sprich
Anarchie gegeben ist.' Wer repraesentiert denn ueberhaupt noch Volk?
Muss nicht ein anderes Instrumentarium genutzt werden, mit dem der
voelkische Begriff "Volk" abgeloest wird? Mehr Stoerung, mehr
Ghettoblaster? "Stoeren geht nicht mehr." Das Ghetto, die Venezianische
Insel der Segregation, bringt andere kulturelle Formen hervor, die dann
Mainstream werden. Ich suche also nach einer Drehung, nach einem Dreh, die
Konfrontation sozialromantischer Allgemeinheit, das was Oeffentlichkeit
heiszen soll, mit der Fantasie individualistischer Radiopraxis mit Option
zur Kollektivierung zu verbinden. Das Ganze wird multitude, vielfaeltig,
unuebersichtlich.

Bei Burroughs' ist der halluzinatorische Begriff des Senders der des
Herrschers, aber der Herrscher ist dumm und kann nur senden, nie
empfangen. Die Technik "Open Space" bietet dagegen an, die Sender zu
zerstoeren und alles zu chaotisieren, um dann zu einer 'Neuen Ordnung'
zu kommen, die wiederum zerstoert wird. Der Handyverkaufer koennte
seine Subsistenz mal anders definieren und z.B. seine Frau marxistisch
Fischen gehen lassen.

Gleich gehts auf Sendung! Ich schiebe mir noch ein von
Wrigley's in den Mund, mein anti-kommunikativer Gestus. Radio mittels
Mobiltelefon zu "machen" heiszt vielerlei: Ironische primitive
Umwertung/Umdefinierung (als Prozess!) von Gadgets statt ihrer
Umprogrammierung (Stichwort: Reverse Engeneering) - vielleicht eine
Post-Futuristische Attituede, oder ist es Social Engeneering ohne
Impact?; Kritik am Brechtschen Radiomodell und am positivistischen
Sender-Empfaenger-Kommunikations-Modell seit Shannon&Weaver
gleichzeitig, aber ohne sofortige Aufhebung in Baudrillards Unmoeglichkeit der
Kommunikation [weil alles schon Simulacrum sei, oder bei Debord Spektakel]
jedoch mit Anteilen von "Gegenoeffentlichkeit" (ambivalent, ambivalent);
ActionResearch mithilfe der These vom "Medium ohne Zuhoererschaft";
Herausarbeiten - auf der Basis von organisiertem Halbwissen - und Spielen -
im Sinn der These vorhandener sozialer und des technischer Programme des
Geraets - mit dem Phantasma des "Radio" (Geisterstimmen/Geistermedium,
Vernetzung, Oeffentlichkeit und Gegenoeffentlichkeit, Piratensender, Autonomedia,
Underground, Multiplex Netzwerk) und der Fantasie des *Radio als ob*
["Radio" in Anfuehrungszeichen] (Social Hacking, Fake Nr. 1735, Overground,
Mikromedien, Culture Jamming, Business Modell). Eine Radiostation mit einem
Handy zu betreiben heiszt ein Translationsmedium, ein Crossmedium zu erfinden.
Denn Konvergenz kann gelesen werden als ordnende Zusammenfuehrung der
Einzelmedien (Portabler Computer simuliert Handy, Handy simuliert
Radioempfaenger) und als Zentralisierung von Medienpraxis, weil am und im
Geraet die Netzzugangs- und Konsumstrukturen aufgebaut werden. Konvergenz
ist also nicht blosz ein techno-logisches Desiderat, sondern auch ein
etatisischer Wunsch. Ein Medium, das - wie die Rhetorik um den Computer
vorgibt - alles simuliert, ist aber selbst schon zentralistisch gedacht
[Universalmedium Computer; Universalitaet geht von der Perspektive der
Uebersicht aus, die immer eine bestimmte Perspektive ist], denn auch das
Konzept des Computers als Rechner ist auf Peripheriegeraete angewiesen, die
ihrerseits Chipgesteuert funktionieren moegen aber nie nur und ganz Rechner sind.
Nur ein organisierter Medienverbund schafft Kohaerenz, wenn z.B. 3d-Effekte
oder soziale Bindung hergestellt werden sollen. Aber dieser Verbund, diese
Medien-Nation schafft auch Konflikt. [Der Sender ist dumm, wenn er kann nur
empfangen (frei nach Burroughs)] Diese Effekte muessen auf ihre
Moeglichkeitsbedingungen hin untersucht werden. Wird bei der
Kommunikation K statt von ihrer ewigen Funktionabilitaet von ihrer
Unwahrscheinlichkeit ausgegangen (Unwahrscheinlichkeit der
Kommunikation [Luhmann]), dann unterliegt K nicht dem Primat ihrer
Perfektionierung, also wie sie zu verbessern sei (Stichwort: Multimedia)
- Beim Konzern Philips gilt der Slogan "Let's make things better" "dem
Rest der Welt gegenueber [als] ein Versprechen". Stattdessen wird gefragt
*wie* sie zustandekommt. Oder es wird gefragt, *wann* Kommunikation
zustandekommt. Nur Kommunikation schafft Gesellschaft, sagt der Forscher.
Kommunikation ist alles, sagt die Firma. Kommunikation ist nicht alles.
Schlieszt man seinen Radioempfaenger an eine Schaltuhr mit Randomfunktion,
gradiert man wie Cage das subjektive Verhaeltnis zu einem stoischen
Nullmedium. Dann kann man so ein komisches Training oder eine zwanglose
Uebung machen, in der die Beobachtung auftreten kann, dass weder die
Subjekte das Medium beherrschen, was immer synonym zu Demokratie gesetzt
wird, noch das Medium die Subjekte beherrscht, was oft synonym zu
Diktatur verwendet wird. "Airwaves" ist ein Kaugummi!

[...]

Matze Schmidt


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Last modified: Mo., 07.07.2003 23:50